Auto- und baugeil
VON FABIAN TWEDER
Erstmal stellen sich zwei Fragen bei diesem Buch: 1. Macht da wieder so ein westdeutscher »Schmierfink« die armen Ossis nieder? Und 2. Ist das Ossi-Wessi-Thema nicht schon längst kalter Kaffee?
Die erste Frage ist schnell geklärt: Der Autor wurde, vorne steht es drin, 1966 in Gera geboren. Das ist zwar noch kein Gütesiegel, aber immerhin. Wer sich als »Ossi« definiert und Ironie der härteren Gangart nicht versteht, der hat mit dem Buch dieses Geraers jedenfalls Probleme.
Zur zweiten Frage muß mehr gesagt werden: Man hört das ja immer öfter, daß das »plakative Gegenüberstellen von Ossis und Wessis« inzwischen der Vergangenheit angehört. Andererseits bemüht man sich, »zu mehr innerer Einheit zu gelangen« (Berlins Reg. Bürgermeister Wowereit, 3. Oktober 2002). Denn so völlig »vollendet« ist die offensichtlich doch noch nicht. Wie auch, wenn sich im Osten der größte Teil der Betriebe und Immobilien in westdeutscher Hand befindet, auf nur einem Drittel der am höchsten dotierten C4-Professoren-Sesseln Ostler sitzen, die Arbeitslosigkeit im Osten weit höher, die Bezahlung aber vielfach deutlich niedriger ist, ganze Regionen ausbluten.
Die Abwanderung Ost-West erreichte 2001 mit 98.000 einen neuen Nach-Wende-Rekord, und da gehen vor allem die jungen Leute, die durch den Geburtenrückgang ohnehin immer weniger werden. Der Osten als Arbeitskräfte-Reservoir des Westens? Jenseits allen Geredes von »Zusammengehörigkeitsgefühl« und »gelebter Solidarität«: Die Kluft zwischen Ost und West, sie hat sich mitnichten in Luft aufgelöst.
»Innere Einheit«, was meint das? Assimilation, Anpassung der Ostler an die westdeutsche »Leidkultur«? Wie sieht die Identität der Ostdeutschen aus? Lassen sie sich die von den Wessis oktroyieren, z.B. als »Deutsche 2. Klasse« oder eben »Ossis«? Zur Klärung dieser Fragen könnte Bernd Zellers Werk beitragen.
Vordergründig betreibt es zwar das Geschäft der ständig von sich selber entzückten Wessis, indem es ihnen kräftig hilft, »ihre Vorbehalte gegen Ossis fundiert durch bessere zu ersetzen« (Vorwort). Das Buch wäre aber auch als sarkastisches Plädoyer zu lesen, daß sich die Ostler auf ihre eigentlichen Qualitäten besinnen. Der Begriff »Ossi« hebt bei Zeller jedenfalls nur auf einen bestimmten kulturellen Typus ab, nicht auf den Ostdeutschen schlechthin. Andernfalls könnte ja niemand (nach der Lektüre) aufhören, ein Ossi zu sein.
Es geht also darum, Inventur zu machen. Haben die Ossis etwa nicht an vielen Problemen, die heute von ihnen beklagt werden, selber mitschuld? Beispielsweise durch ihre Autogeilheit (Grund 30). Vielen konnte es nach der Wende nicht schnell genug gehen, endlich auch ein Westauto zu besitzen. Deshalb - warum sonst? - wollten sie den sofortigen Anschluß an die Bundesrepublik (statt selbstbewußt zu verhandeln oder einen Dritten Weg zu beschreiten). Daß dann viele Arbeitsplätze flöten gehen und die westdeutschen Immobilienhaie freie Hand bekommen, interessierte niemanden.
Als die Ossis zum ersten Mal in den Westen kutschten, gingen ihnen die Augen über. Zeller schildert, was passierte: »Dort wimmelte es von Westautos, die den Besuchern zuzurufen schienen: Wir sind mehr als ein Transportmittel, wir sind der Weg und wir sind das Ziel! Es wimmelte natürlich auch von Ostautos, aber die zeigten nur die Notwendigkeit, sich schnellstmöglich von ihnen zu distanzieren.«
Der BRD-Gebrauchtwagenmarkt war in kürzester Zeit leergefegt. Die Ossis kauften jede Rostlaube, Hauptsache »West!« Damit zelebrierten sie ihn, den neuerlernten Ostprotz. Ein Westschlitten ist aber etwas völlig anderes als ein Trabbi. »Eine erstaunliche Feststellung wartete darauf, von den Zonis mit fahrbarem Westuntersatz gemacht zu werden«, erläutert der Autor. »Wenn man Gas gibt, wird er schneller. Mit noch mehr Gas wird es noch schneller. Und dann kann man noch einen Gang höher schalten und wieder Gas geben und wieder schneller werden! Das war das Gefühl, um das man vierzig Jahre betrogen worden war!«
Ossi zu sein, ist für Zeller also »etwas, von dem man nur abraten kann«. Soll der Ossi nun Wessi werden? Keineswegs. Einige Passagen verraten, daß der Autor auch den Wessi nicht als Ideal betrachtet. Da beschreibt er Vorgehensweisen, die doch der Wessi dem Ossi als »überlegenes Wirtschaftssystem« übergeholfen hat:
»Bauaufträge der öffentlichen Hand müssen ausgeschrieben werden. Wenn sich die Dezernenten nicht entscheiden oder nicht genug kriegen können, dürfen die einen die Straße bauen und die anderen wieder aufreißen. Weil Bauen teuer ist, gibt es da das meiste zu holen. Städte werden umgebaut, obwohl eine Verlegung billiger wäre. Straßen werden untertunnelt, damit die Erhaltung möglichst aufwendig bleibt. Wäre doch schade um die schönen Zuschüsse.« (Grund 89 - Baugewerbe)
In der DDR fehlte es schon an Arbeitskräften und Material, um derlei zu veranstalten. Die »Ärmlichkeit« hatte also auch sein Gutes: Man konnte nicht alles zubetonieren, das ganze Land unter Autobahnen, Tankstellen und Parkplätzen (der sg. »Infrastruktur«) begraben, überall gräßliche Glas-Stein-Klötze hinbauen. Abgesehen vom Mangel gab es auch den ungeheuren Verwertungsdruck auf jeden Quadratmeter Immobilienfläche nicht. Was der uns beschert, kann man z.B. in Berlin in der Friedrichstraße südlich des gleichnamigen S-Bahnhofs besichtigen. Wo früher Wiesen, Bäume und Bänke waren, werden heute »hochwertige Büroflächen« vermietet.
Bernd Zeller: 101 Gründe, kein Ossi zu sein. Piper Verlag, München 2002, 119 S., br., Bestellen
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